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Geschichte

Der Tukan-Kreis – eine der ältesten literarischen Gesellschaften Münchens

Seit nunmehr über 80 Jahren prägt der Tukan-Kreis das literarische Leben in München mit. Die Liste der Autoren und Autorinnen, die seit den Anfängen, die bis in die 1930er Jahre zurückgehen, hier gelesen haben, ist umfangreich und vielfältig: VertreterInnen der Vorkriegsliteratur, der inneren Emigration, des Exils, der Gruppe 47; später arrivierte und neue Stimmen der drei – bis 1989 – vier deutschsprachigen Literaturen. Einerseits ist es diese Mischung von bekannten und neuen AutorInnen, andererseits die Möglichkeit zur persönlichen Begegnung mit dem/r AutorIn, die seit jeher die Besonderheit des Tukan-Kreises ausmacht.

Gründung und Anfänge des Tukan-Kreises

Als 26-jähriger Student, mit ersten Publikationen als Lyriker in der Tasche, macht sich Rudolf Schmitt-Sulzthal (der zweite Teil seines Nachnamens bezieht sich auf seine Geburtstadt in Franken) 1930 in München daran, seinen eigenen Verlag zu gründen. Auf den Namen Tukan kommt man der Legende nach in launiger Dichterrunde in der Künstlerkneipe Simplicissimus in der Türkenstraße. Der exotische Vogel, ein tropischer Pfefferfresser mit langem, orange-gelb leuchtendem Schnabel wird als das passende Wappentier angesehen – muss doch jeder Dichter ab und zu gepfefferte Kritik schlucken und braucht einen gleichermaßen großen Schnabel sowie eine bunte Phantasie für sein kreatives Tun. Das erste Signet entwirft Frithjof Koch, das zweite, das bis heute als Symbol des Tukan-Kreises fungiert, Michael Jungheim.

Herausgegeben wird ab 1930 die „Tukanreihe”, in der primär Prosa erscheint. 1932 kommt die „Tukanbühne” mit Theaterstücken hinzu. Auch außerhalb der beiden Reihen erscheinen kleine Bände mit Lyrik und Prosa. Drei Jahre nach der Verlagsgründung finden die ersten Autorenlesungen unter dem Namen Tukan-Kreis statt. Man trifft sich in verschiedenen Orten, wie der legendären Buchhandlung Steinicke in der Adalbertstraße, dem Café Reitschule oder dem Hotel Königshof. Des Weiteren wird, ebenfalls unter dem Namen Tukan-Kreis, eine Buchgesellschaft gegründet, die den Mitgliedern einen günstigeren Preis der Tukan-Reihe gewährt.

Rudolf Schmitt-Sulzthal Gedenktafel München © wikimedia-Fotoupload1234512345
25 Jahre Tukankreis

Während des Dritten Reiches wird dem Tukan-Kreis die Eigenständigkeit als Buchclub entzogen, was letzten Endes eine Unterbrechung der offiziellen Tukan-Aktivitäten nach sich zieht, inoffiziell jedoch existiert der Tukan-Kreis weiter. Die vage Legende vom Verbot des Tukan-Kreises aufgrund von Auftritten unerwünschter Autoren klärt der Literaturwissenschaftler Dirk Heisserer in seinem fundierten Beitrag über den Tukan-Kreis in dem Band zum 80. Jubiläum auf. Er kommt zu dem Ergebnis, „dass es vor allem die enge Verbindung des Tukan-Kreises mit dem Tukan-Verlag gewesen war, die erst zur Ablehnung der Gemeinnützigkeit und danach zum Verbot des Tukan-Kreises als eigenständiger Buchclub mit Lesungen geführt hat”. (Heisserer, Dirk: Tukan in München (1930-1985). Verlag-Reihe-Bühne-Kreis, S. 14-45. In: Der Tukan-Kreis 1930-2010, Verlag C.H. BECK 2010) Die letzten beiden Bändchen erscheinen 1939 im Tukan-Verlag.

Wiederaufleben

1950, fünf Jahre nachdem Schmitt-Sulzthal aus russischer Gefangenschaft zurückgekehrt war, finden im Künstlercafé Stefanie Ecke Amalienstraße / Theresienstraße wieder die ersten Tukan-Veranstaltungen statt. Von da an folgten zweimal monatlich Dichterlesungen, Diskussionsabende und Gedenkveranstaltungen. Nicht zu vergessen sind die diversen Feste, sei es zu Weihnachten, zu Jubiläen oder zu Fasching, denn der Tukan-Kreis war damals auch eine illustre, feierfreudige Gesellschaft, oftmals gemeinsam mit dem benachbarten Schwabinger Seerosenkreis.

Neben den alteingesessenen Autoren, wie z.B. Hans Brandenburg, lesen in den 1950er Jahren z.B. im Café Freilinger in der Leopoldstraße damalige Nachwuchsautoren, darunter Walter Kolbenhoff, aber auch Emigranten wie Hermann Kesten und Leonhard Frank, der Hörspielautor Günter Eich, jüdische Autoren und Autorinnen wie Gerty Spies oder Schalom Ben-Chorin oder Ilse Aichinger und Hans Werner Richter von der Gruppe 47.

30 Jahre Tukankreis
Medaille „München leuchtet“ in Silber

1958 ist der „Obertukan” Rudolf Schmitt-Sulzthal über die Münchner Stadtgrenzen hinaus aktiv: Unter seiner Federführung richtet der Tukan-Kreis den Vierten Internationalen Schriftstellerkongress, ein Großevent für damalige Verhältnisse, aus. Kurz darauf organisiert er das 30. Jubiläum des Tukan-Kreises und erhält zu seinem eigenen 60. Geburtstag eine Ausstellung der Monacensia-Abteilung und die Medaille „München leuchtet“ in Silber. 1965 initiiert Rudolf Schmitt-Sulzthal den Tukan-Preis, der seither von der Landeshauptstadt München vergeben wird. Einige Jahre zuvor hatte er seine langjährige Sekretärin Erica Janus (1959) geheiratet und zur „Obertukanin“ ernannt. Nach seinem Tod 1971 ist sie es, die den Tukan-Kreis in altbewährter Weise, wenn auch finanziell zunehmend unter schwereren Bedingungen fortführt.

Nachfolge und Neuanfang

Anfang der 1980er Jahre macht sich Erica Schmitt-Sulzthal auf die Suche nach einem Nachfolger. Karl Ude – Literaturkritiker und Kulturredakteur und selbst seit langen Jahren Mitglied im Tukan-Kreis – hilft ihr dabei und stellt den Kontakt zum Verleger Hans Dieter Beck, den er wiederum durch das gemeinsame Musizieren näher kennt, her. 1983 findet die „Übergabe” im Rahmen einer Feier für Hans Werner Richter zum 75. Geburtstag im Künstlerhaus statt.

Gleich zu Beginn gibt Hans Dieter Beck dem Tukan-Kreis insofern ein neues Gesicht, als dass er die locker geführte literarische Gesellschaft in einen eingetragenen Verein verwandelt. Damit schafft er eine straffere Organisation und passt den Tukan-Kreis den Bedingungen zeitgemäßer Kulturförderung an.

Gemeinsam mit seiner Programmreferentin Anita Otto macht Hans Dieter Beck den Tukan-Kreis in den 1980er und 1990er Jahren zu der Münchner Institution für Gegenwartsliteratur und Autorenlesungen schlechthin. Den Auftakt bilden im ersten Veranstaltungsjahr unter der neuen Ägide: Friedrich Dürrenmatt, Peter Härtling, Michael Ende, Rolf Hochhut, Hermann Lenz. Von Anfang an werden aber auch mit sicherem Gespür junge Talente eingeladen wie z.B. Michael Köhlmeier, Hanns-Josef Ortheil, Herta Müller, Uwe Timm, Ilija Trojanow – damals in den Anfängen ihres Schreibens, heute renommierte Autoren und Autorinnen.

Katrin Hillgruber fasst in ihrem Almanach-Beitrag die verschiedenen literarischen Strömungen, darunter die „Skeptiker aus dem Osten” (Heiner Müller, Wolfgang Hilbig, Volker Braun) oder die „Fabulierer und Realisten” (Reinhart Baumgart, Kathrin Schmidt, Adolf Muschg), die in den letzten 30 Jahren im Tukan-Kreis auszumachen waren, zusammen. (Hillgruber, Katrin: Eine neue Ära beginnt. Der Tukan-Kreis von 1984 bis 2010. S. 48-71. In: Der Tukan-Kreis 1930-2010, Verlag C.H. BECK 2010) Und auch die Münchner Lokalmatadoren kamen und kommen immer wieder zu Wort: z.B. der gleich zweifache Tukan-Preisträger Hans Pleschinski, Thomas Palzer, Thomas Lang und Ernst Augustin.

Das Gremium, bestehend aus Literaturkritikern, Buchhändlern, ehemaligen Verlagsmitarbeitern, Autoren und anderen Vertreterinnen und Vertretern des Literaturbetriebs, das den „Obertukan” bei der Programmplanung berät, ist darum bemüht, die Rosinen und Besonderheiten aus den umfangreichen Verlagsprogrammen herauszupicken. Konventionell geht es dabei nur äußerst selten zu.

Schon Erich Kästner kannte „keine andere literarische Vereinigung, bei der es so unorthodox, so unfeierlich, so bunt und so gemütlich zuginge”. Und auch heute, mit Vereinsstruktur und Satzung sowie dank den kontinuierlichen finanziellen Zuschüssen von Kulturreferat, Hans Dieter Beck Stiftung und Bayern liest e.V. ist der Tukan-Kreis eine konstante literarische Gesellschaft mit individueller Programmgestaltung – offen für alle literarisch Interessierten.